Zuchtberatung

Hintergrund-Inzuchtbelastung

von Raymonde Harland erschienen in "katzen extra" 8/99

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Frage:

Bei meiner Stammbaumforschung bin ich auf sehr viele Vollgeschwisterverpaarungen gestoßen. In einer Tabelle fand ich den Inzuchtkoeffizienten von 25 % für Vollgeschwisterverpaarungen. Dies erscheint mir sehr niedrig, zumal einige Vorfahren ständig wieder auftauchen, je weiter ich im Stammbaum meines Katers zurückgehe. Muß man dies nicht auch berücksichtigen?

Anbei der Stammbaum des häufig vorkommenden Old Foiler.

Stammbaum von Old Follier

Eltern Großeltern Urgroßeltern Ururgroßeltern
Old Grip Grove Willie Grove Tartar Unbekannt
Unbekannt
Grove Nettle Grove Tartar
Sting
Vixen Grove Tartar Unbekannt
Unbekannt
Grove Nettle Grove Tartar
Sting
Juddy Grove Willie Grove Tatar Unbekannt
Unbekannt
Grove Nettle Grove Tatar
Sting
Vixen Grove Tatar Unbekannt
Unbekannt
Grove Nettle Grove Tatar
Sting

Antwort:

Geschwisterverpaarungen wurden in der Frühzeit der Katzenzucht viel häufiger gemacht als heute, wo eine solche Verpaarung meistens erst vom Zuchtausschuß des Vereins genehmigt werden muß. Der Vorteil von Vollgeschwisterverpaarungen ist, daß ihre Auswirkungen sehr schnell eintreten, daß z.B. ein Typ sehr schnell gefestigt ist. Der Nachteil ist, daß, wenn dieser Effekt einmal aufgetreten ist, keine weitere Verbesserung durch Verwandtenverpaarung möglich ist, weil die weiter hervorgebrachten Tiere an Kraft verlieren und das Imunsystem schwach wird.

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Stellen Sie sich einmal vor, Sting wäre auch eine Tochter von Grove Tartar gewsen oder noch schlimmer, daß die unbekannten Eltern von Grove Tartar und Sting einen oder sogar beide Elternteile gemeinsam gehabt hätten - der tatsächliche Grad der Inzucht würde noch weit höher sein, als die Berechnungen aufgrund von vier Generationen ergeben haben. Diese Annahme ist gar nicht so unwahrscheinlich, denn viele Rassen sind in geographisch eingeengten Regionen der Natur entnommen worden. Unter solchen Umständen ist auch bei freilebenden Katzen Inzucht häufig.

Sie haben völlig recht, die Hintergrund-Inzuchtbelastung ist bei einigen Rassen Anlass zu sehr erster Sorge, besonders bei zahlenmäßig kleinen Rassen. Die bisher übliche Berechnung des Inzuchtkoeffizienten berücksichtigt nur das jeweils erste gleiche Tier auf mütterlicher und väterlicher Seite, wenn man den Stammbaum zurückverfolgt. Man ging davon aus, daß der genetische Beitrag der Vorfahren in diesem Tier bereits enthalten ist und daher nicht zur Berechnung herangezogen werden muß. Dies ist sicher richtig für Rassen, die von Anfang an eine breite genetische Basis hatten und auch nie auf wenige Tiere reduziert wurden. Stehen allerdings am Anfang einer Rasse nur wenige Tiere, oder wurden sie z.B. in Kriegszeiten auf wenige Tiere reduziert, so muß man diese Hintergrund-Inzuchtbelastung zur Berechnung heranziehen. Wie das gemacht wird erklärt die untenstehende Tabelle.

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Die Hintergrund-Inzuchtbelastung ist problematisch, weil die genetische Vielfalt nicht mit der Anzahl der Tiere mithält. Es ist zwar richtig, daß mit jeder Generation die Gene der Vorfahren neu gemischt werden und durch Mutationen neues Material hinzu kommt, aber es kann eben nur aus einem kleinen Pol geschöpft werden, wenn am Anfang einer Rasse nur wenige Tiere stehen oder die Anzahl der Tiere einer Rasse auf wenige Individuen zusammengeschrumpft ist. Vor diesem Problem stehen auch Naturschützer, die mit wenigen Überlebenden einer Art neu anfangen müssen, um ein endgültiges Aussterben zu verhindern.

Hintergrund.jpg (46540 Byte) Wenn eine Rasse auf zehn Zuchttiere reduziert wird, oder mit dieser Anzahl von Zuchttieren beginnt und der Bestand innerhalb von zehn Generationen auf 1000 Tiere anwächst, entspricht dies ca. 70 genetisch wirksamen Individuen und diese Hintergrund-Inzuchtbelastung nimmt nur ganz langsam von Generation zu Generation ab.

Züchter von zahlenmäßig kleinen Rassen müssen also kooperieren, um den Gefahren der Hintergrund-Inzuchtbelastung zu begegnen. Dasselbe gilt für Rassen, an deren Ursprung nur wenige Tiere standen und für Rassen, die zeitweilig auf wenige Tiere zusammengeschrumpft waren. Wenn z.B. nur eines der Ursprungstiere einen genetischen Defekt vererbt hat, so ist die Verbreitung innerhalb der Rasse ein enorm großes Problem, da viele Tiere nur geringe Unterschiede in der Gen-Ausstattung aufweisen.

Um den Gefahren der Hintergrund-Inzuchtbelastung zu entgehen, ist ein sorgfältiges Stammbaumstudium nötig. Wo immer es möglich ist, sollte man eine Gleich-zu-gleich-Verpaarung mit nicht oder sehr weitläufig verwandten Tieren der Inzucht vorziehen, also eine Verpaarung von ähnlichen Tieren aus fremden Linien. Die Festigung von rassetypischen Merkmalen dauert so natürlich länger, doch die genetische Vielfalt sollte dem Züchter wichtiger sein, als der schnelle Erfolg.

Auch die Zuchtverbände sind gefordert. In der schwedischen Hundezucht wurde z.B. der Einsatz von Deckrüden in einigen zahlenmäßig kleinen Rassen beschränkt, um das Entstehen einer Population zu vermeiden, die einen gefährlich hohen Grad an Hintergrund-Inzuchtbelastung besitzt. Dies Beispiel sollte Schule machen, um einige Rassen vor den Auswirkungen unkoordinierter Zucht zu schützen!

Position und Häufigkeit der Vorfahren innerhalb eines Stammbaumes 

Mutterline Vaterlinie 1 2,3,4 2,3

2,4,4

3,3,4,4

2,4

3,3,4

3,4,4,4

2

3,3

3,4,4

4,4,4,4

3,4

4,4,4

3

4,4

4
1 - 43,8 37,5 31,3 25,0 18,8 12,5 6,5
2,3,4 43,8 38,3 32,8 27,3 21,9 16,4 10,9 5,5
2,3

2,4,4

3,3,4,4

37,5 32,8 28,1 23,4 18,8 14,1 9,4 4,7
2,4

3,3,4

3,4,4,4

31,2 27,3 23,4 19,5 15,6 11,7 7,8 3,9
2

3,3

3,4,4

4,4,4,4

25,0 21,9 18,8 15,6 12,5 9,4 6,3 3,1
3,4

4,4,4

18,8 16,4 14,1 11,7 9,4 7,0 4,7 2,3
3

4,4

12,5 10,9 9,4 7,8 6,2 4,7 3,1 1,6
4 6,3 5,5 4,7 3,9 3,1 2,3 1,6 0,8

Anleitung:

Diese Tabelle bietet dem Züchter die Möglichkeit, den Grad der Inzucht innhalb eines Stammbaums von vier Generationen zu ermitteln, ohne komplizierte Berechnungen durchführen zu müssen.

1 steht für die Elterngeneration

2 steht für die Großelterngeneration

3 steht für die Urgroßelterngeneration

4 steht für die Ururgroßeltengeneration

Wenn z. B. Grove Willie einmal als Foilers Großvater väterlicherseits (2) und einmal als Großvater mütterlicherseits (2) auftritt, beträgt der Inzuchtkoeffizient für Foiler zu ihm 12,5 Prozent. Wenn jedoch Grove Tartar zweimal als Urgroßvater väterlicherseits (3 3) und zweimal als Ururgroßvater väterlicherseits (4 4) auftritt und sich dieses Schema auf der müttlichen Seite wiederholt, so ist Foiler sowohl von der väterlichen Seite, als auch von der müttlichen Seite mit (3 3 4 4) ingezüchtet, was einen Inzuchtkoeffizienten von 28,1 Prozent bedeutet. Dieser Wert liegt etwas höher, als der bei üblichen Tabellen angegebene Wert von 25 % für eine Vollgeschwister-Verpaarung, da er auch die Hintergrund-Inzuchtbelastung berücksichtigt. Diesen Wert erhält man aber nur, wenn man soweit wie möglich zurückgeht im Stammbaum und nicht, wie bei der sonst üblichen Berechnung den ersten gemeinsamen Vorfahren mütter- und väterlicherseits berechnet und dessen Vorfahren unberücksichtigt läßt.