Ein Kater forscht

von Raymonde Harland

erschienen in "katzen extra"11/97

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meerschwein + maine coon

 

Seit Stunden sitzt mein Kater vor dem Käfig der Meerschweinchen, die ich für ein paar Tage in Pflege genommen habe. Mimmi und Paulchen ignorieren ihn völlig, doch gerade das scheint ihn herauszufordern. Was mag nur in seinem Kopf vorgehen?

"Warum kann ich nicht mit diesen seltsamen Wesen Kontakt aufnehmen? Ob sie Außerirdische sind? Untereinander scheinen sie sich zu verständigen, also muß es doch möglich sein sie zu verstehen. Aber vielleicht mache ich auch den Fehler zu sehr von mir aus zu gehen. Vielleicht können sie gar nicht denken, vielleicht haben sie gar keine Vorstellung von ihrer Umwelt. Selbst bei anderen Katzen und erst recht bei den Menschen bin ich mir nicht sicher, daß sie die Welt so sehen wie ich. Wenn ich Hunger habe, dann entstehen in mir Gefühle und mein Magen knurrt, doch ist das bei anderen Katzen auch so? Oder füllen sie nur ganz automatisch alle paar Stunden ihren Magen? Doch wenn ich sie genau beobachte kann ich von mir auf andere schließen. Dabei muß ich das ganze Umfeld mit einbeziehen, sonst komme ich zu falschen Schlüssen. Felidaemorphismen haben schon manchen Forscher glauben lassen Menschen seien genauso hoch entwickelt wie wir. Das Problem lautet: sind diese beiden seltsamen Lebewesen mir ähnlich genug, daß ich von meinen Gefühlen auf ihre schließen kann? Wenn ich anderen Lebewesen überhaupt Gefühle unterstelle, muß ich dann nicht auch meine Jagdgewohnheiten in Frage stellen? Fühlt die Maus an der ich meinen Jagdtrieb abreagiere Angst und Schmerzen? Soweit will ich lieber nicht denken!

meerschwein + heilige birma

Warum nur halten diese unbekannten Lebewesen alle Augenblick inne und beäugen die Umgebung? Ob sie sich von mir bedroht fühlen? Ob sie gesellig leben oder Einzelgänger sind? Sie schlafen viel zu wenig, so kann ihr Hirn ja nicht funktionieren! Doch Halt, ich kann diese schwierige Aufgabe. ein anderes Lebewesen zu verstehen, nur bewältigen, wenn ich mir die Mühe mache, alles aus seinem Blickwinkel zu sehen. Ich muß herausfinden, was ihm wichtig ist.

Diese seltsamen Lebewesen fressen immerzu getrocknetes Gras, wenn sie nicht gerade an einer Wurzel knabbern. Ich fresse Gras, wenn ich die Haare, die sich in meinem Magen angesammelt haben, ausbrechen will. Aber diese Lebewesen fressen immerzu und brechen nicht einmal. Sie putzen sich auch nicht richtig, also können sie auch kaum Haare verschlucken. Ich darf nicht den Fehler machen, sie als Katzen zu sehen, ich muß mich ganz in sie hineinversetzen um sie verstehen zu können. Ich muß einen Selbstversuch machen! Wie schmeckt eigentlich getrocknetes Gras?"

"Angela" rufe ich meine Tochter "Sieh dir diesen verrückten Kater an. Jetzt angelt er sich Heu aus dem Käfig der Meerschweinchen, beißt hinein und dreht sich mit großen fragenden Augen nach mir um, als ob er sagen wollte: und so etwas fressen die nun den ganzen Tag?" "Ach Mama, du vermenschlichst den Kater mal wieder."