Zwillinge sehen immer gleich aus

von Raymonde Harland erschienen in "katzen extra"4/99

Zu den anderen Artikeln

"Eineiige Zwillinge sehen immer gleich aus und teilen sich eine Plazenta" so meinen es fast alle Züchter. Doch die Natur arbeitet viel komplizerter.

W-Nose4.jpg (41949 Byte)

Wie eineiige Zwillinge entstehen, darüber gibt es noch immer keine eindeutige Antwort der Wissenschaftler. Bei Mehrlingen aus verschiedenen Eiern kennt man hingegen die wichtigste Ursache: den Hormonspiegel der Mutter. Beim Menschen kommen z.B. überall auf der Welt, egal in welcher Kultur und bei welchen Völkern, auf 1000 Geburten rund 3,5 eineiige Zwillinge. Die Zahl der zweieiigen Zwillinge ist aber regional sehr unterschiedlich, je nachdem wie östrogenhaltig die Nahrung bzw. wie hoch die Belastung der Umwelt mit künstlichen Östrogenen ist. Auch die Behandlung von Eltern mit unerfülltem Kinderwunsch durch künstliche Hormone läßt die Zahl der Mehrlinge hochschnellen. Durch die Möglichkeiten der Ultraschalluntersuchung im frühen Stadium der Schwangerschaft, hat man festgestellt, daß sehr viele Menschen ihr Leben als Zwilling beginngen, aber meistens nur ein Kind sich weiterentwickelt und das andere bei der nächsten Ultraschalluntersuchung schon verschwunden ist, d.h. vom Körper absorbiert wurde.

Auch bei den Katzen spielt der Hormonspiegel eine wichtige Rolle für den Ei-Sprung. Je nach Rasse werden im Durchschnitt drei bis fünf Junge geboren. Auch bei Katzen gibt es das Phänomen der verschwundenen Föten. Häufig zählt der Tierarzt bei einer Ultraschalluntersuchung mehr Junge, als später tatsächlich geboren werden. Auch diese Föten werden vom Körper absorbiert. Bei Säugetieren, die in der Regel Mehrlinge im Wurf haben, stammen diese Jungen fast ausschließlich aus verschiedenen Eiern. Nur das Neunbindengürteltier bringt grundsätzlich eineiige Vierlinge zur Welt. Bei Katzen sind also eineiige Zwillinge extrem selten.

SAMSON.JPG (38298 Byte)

Ob Zwillinge sich aus einem oder zwei Eiern entwickelt haben, wurde früher beim Menschen an der Zahl der Nachgeburten festgemacht. Gab es nur eine gemeinsame Plazenta, so galten die Zwillinge als eineiig. Inzwischen ist bekannt, daß auch eineiige Zwillinge zwei Plazentas haben können, dies hängt von dem Zeitpunkt der Zwillingsbildung ab. Wenn ein befruchtetes Ei sich in zwei Lebewesen teilt, so kann dies in den ersten Tagen nach der Befruchtung geschehen, aber auch erst in der zweiten Lebenswoche. Bei einer frühen Teilung, können zwei Plazentas entstehen, bei einer späten Teilung bleibt es bei einer Plazenta. Aber auch zweieiige Zwillinge können scheinbar nur eine Plazenta haben. Wenn sich zwei Föten extrem dicht nebeneinander einnisten, so können ihre Plazentas zusammenwachsen und der Züchter wundert sich, daß diese scheinbar eineiigen Zwillinge verschieden aussehen und vielleicht sogar unterschiedliche Geschlechter haben, was sonst bei eineiigen Zwillingen nie der Fall ist.

Wer menschliche eineiige Zwillinge betrachtet, stellt meistens fest, daß sie nicht ganz genau gleich aussehen. Oft ist ein Zwilling das Spiegelbild des anderen, es ist dann auch einer Rechts- und der andere Linkshänder. Die Fingerabdrücke von eineiigen Zwillingen sind nie genau gleich, und auch in der Gesundheit gibt es häufig Unterschiede. Ein Zwilling kann z.B. an einer erblichen Krankheit leiden, der andere ist frei davon. Bei Herzfehlern, Gaumenspalten und offenem Rücken kommt dies sogar häufig vor, wie überhaupt bei eineigigen Zwillingen genetische Anomalien häufiger sind, als bei anderen Kindern. Dies hat zu der Theorie geführt, daß eineiige Zwillinge sich gerade durch diese genetischen Fehler bilden. Die Theorie stellt sich das so vor, daß bei der ersten Zellteilung des befruchteten Eis durch die Zufallsverteilung defekte Gene nur in die eine Hälfte geraten. So bilden sich zwei Zellen, die genetisch leicht unterschiedlich sind. Schreitet der Prozeß fort, kommt er an einen Punkt, an dem die eine Zellart sich zu einem Lebewesen formiert und die andere Zellart abgestoßen wird, so als wollte sie sagen: "dich kenn ich nicht, bilde du dein eigenes Kind". Das Phänomen der verschwundenen Zwillinge, die durch den Körper absorbiert werden, spricht ebenfalls für diese Theorie. Der Zwilling mit den defekten Genen ist dann einfach zu geschädigt, um sich zu einem lebensfähigen Lebewesen zu entwickeln.

Scarlett2.jpg (25919 Byte)

Bei Katzen kann es zu einem ganz besonderen Effekt bei eineiigen Zwillingen kommen, nämlich dann, wenn es sich um zwei schildpatt Mädchen handelt. Die Farbe schildpatt entsteht durch die X-Chromosom-Inaktivierung. In jeder Zelle eines Säugetieres ist nur ein X-Chromosom aktiv. Kätzinnen haben, wie alle weiblichen Säugetiere, zwei X-Chromosomen auf denen das Gen für Rot oder Nicht-rot liegt. Von jedem Elternteil haben sie ein X-Chromosom geerbt, deshalb haben Kätzinnen, deren einer Elternteil rot und der andere nicht-rot ist, X-Chromosomen mit unterschiedlichen Farbinformationen. Damit nur ein X-Chromosom in jeder Zelle aktiv ist, wird das andere deaktiviert. Der Zufall bestimmt, ob dies das X-Chromosom mit der Information rot oder das X-Chromosom mit der Information Nicht-rot ist. Dieser Prozeß der Deaktivierung findet aber erst statt, wenn die Zwillingsbildung schon abgeschlossen ist. So wird bei jedem Zwilling die Schildpatt-Färbung anders ausgebildet und die beiden Mädchen sehen so unterschiedlich aus, daß niemand auf die Idee kommt, sie könnten eineiige Zwillinge sein. Nur eine genetische Untersuchung kann mit Sicherheit zeigen, ob Wurfgeschwister sich aus einem befruchteten Ei entwickelt haben oder aus mehreren Eiern.

Eineiige Zwillinge sind bei Katzen also nicht nur extrem selten, sondern unter Umständen auch gar nicht zu erkennen. Da eineiige Zwillinge ein erhöhtes Risiko für Mißbildungen haben, ist die Seltenheit von eineiigen Zwillingen für unsere Katzen also nur positiv.